Essstörung? Selbst schuld!

Trinkst du Alkohol, um alkoholkrank zu werden? Spielst du PC-Spiele, um spielsüchtig zu werden? Gehst du shoppen, um kaufsüchtig zu werden? Machst du eine Diät, um essgestört zu werden?

Ich glaube nicht. Denn hierbei handelt es sich um suchtunabhängige Tätigkeiten, die entweder Spaß machen und/oder ein anderes individuelles Ziel verfolgen.

Meine liebe Cousine markierte mich letztens bei Facebook unter einen Mitteldeutsche Zeitung-Beitrag: Wut auf Ernährungs-Gurus „Ich wollte nur gesund essen – und wurde davon krank“ 

Ich bin stets sehr skeptisch, wenn ich solche Überschriften lese. Doch dieses Interview mit Nils Binnberg enttäuschte mich nicht. Doch was hat dieser Beitrag über Orthorexia nervosa mit Schuldzuweisungen zu tun?

Orthorexia nervosa

… ist erstmal eine Essstörung.

Kurz angerissen: Betroffene achten akribisch auf eine “gesunde” Ernährung, die schnell zum Zwang wird. Schließlich ist “gesund” mittlerweile in aller Munde.

“Gesund” wird mit fit und aktiv assoziiert. Jedes Kind bekommt bereits im Kindergarten erklärt, welche Lebensmittel äußerst gesund sind und welche nicht. Bereits die Kleinsten werden in eine “gesunde” Bahn gelenkt. Die Absicht dahinter – lobenswert?

Nils Binnberg gibt in dem Interview einen gut gelungen Einblick in seine Essstörung.

Anmerkung: Ich mache keine Werbung für sein Buch. Seine persönliche Erfahrung zum Thema Essstörungen ist aus meiner Sicht das was zählt.

Selbst schuld!

Weit gefehlt! Und das wöllte ich am liebsten so laut schreien, dass mich jeder hört. Ich habe die klassischen Vorurteile und oberflächlichen Sichtweisen so satt!

Für eine Essstörung kann keiner was! Keiner wünscht sich, an einer Magersucht und Co. zu erkranken! Niemand legt es darauf an, regelmäßig große Mengen in kürzester Zeit rauschartig zu verschlingen, um diese im Anschluss wieder rückgängig zu machen! N I E M A N D!!!

Wie eingangs erwähnt, wurde ich über Facebook auf den Beitrag aufmerksam. Die Kommentare unter dem Link schockierten mich. Schau selbst –> Link zu Facebook

Die meisten Äußerungen stinken inhaltlich zum Himmel. Ob sich einer jemals mit der sich dahinter liegenden Problematik beschäftigt hat? Ich bezweifle es. Auf die einzelnen Aussagen möchte ich in meinem Blogpost nicht eingehen. Nur so viel, es macht mich wütend.

Essstörungen jeglicher Art haben nichts mit – am Verstand orientierten – Entscheidungen zu tun. Betroffene tun Dinge, die sie tun müssen. Nicht, weil sie es aus dem Herzen heraus wollen. Sondern weil die Essstörung sie dazu zwingt.

Happy Kalorie

Verständnis

Für sämtliche Süchte haben Menschen Verständnis. Einige können es sogar nachvollziehen, dass man Zigaretten raucht, oder sich einen Joint nach den nächsten gönnt. Kaum einer dagegen versteht, dass eine “gesunde” Ernährung krank machen kann.

Bsp.:

  • “Dann hör halt einfach auf! Weniger ist das Neue mehr!”
  • “Ess´ das doch nicht! Davon wirst du krank!”
  • “Fett macht fett! Vermeide es!”
  • “Bio ist total gesund! Nimm es!”
  • “Sport ist der ultimative Booster, um schnell an Gewicht zu verlieren!”

Essstörung liegt an der Ernährungsform

Eine Essstörung hat nie ausschließlich etwas mit der Ernährung zu tun. Die Erkrankung äußert sich über das gestörte Essverhalten. Betroffene verstecken sich gern hinter einem besonderen Ernährungsstil, wie vegan oder vegetarisch. Das heißt aber wiederum nicht, dass jeder Veganer bzw. Vegetarianer essgestört ist.

Die eigentlichen Auslöser einer Essstörung liegen häufig ganz woanders.

Bsp.:

  • Traumata
  • Häusliche Gewalt
  • fehlendes/geringes Selbstwertgefühl
  • Hass gegen sich selbst
  • Anpassungsdruck
  • Leistungsdruck
  • Erwartungsdruck
  • Verlust
  • Über-/Unterforderung
  • oder gar nichts von den genannten Punkten

Es gibt nicht den einen Auslöser.

Deshalb kann eine Essstörung nicht nur mit einer lapidaren Ernährungsberatung therapiert werden. Die Psyche braucht ebenfalls professionelle Hilfe.
Essen, wie es die Norm entspricht, bedeutet nicht automatisch, wieder gesund zu sein. Nils Binnberg erwähnt, dass eine therapiebasierte Herangehensweise ein möglicher erster (nachhaltiger) Schritt sein kann. Dem pflichte ich aus persönlicher Erfahrung bei.

Keine Beachtung

Essstörungen werden belächelt. Die Gefahren dahinter tlw. belustigt abgetan. Jeder, der sich für Prävention stark macht, bekommt bestenfalls einen Daumen nach oben. Nicht mehr und nicht weniger. Ich habe das Gefühl, ES interessiert keinen.

Und warum? Weil Essen zum Überleben gehört, wie das Atmen. Essstörungen sind schlichtweg nicht (be)greifbar. “Ohne Essen kein Leben, also kann eine Essstörung gar nicht so schlimm sein, denn irgendwann müssen sie ja wieder was essen!”

Nein, so leicht ist ES leider nicht. Ich hätte für die Essstörung fast mein Leben geopfert. Gute Gründe dafür hatte ich genügend.

Ich wünscht, ich könnte mit meinem präventiven Gedanken mehr Aufklärung und eine größeres Bewusstsein bewirken.

Wann werden Essstörungen endlich im Vorfeld beachtet? Wird das überhaupt jemals passieren?

Tode gab es in der Vergangenheit bereits genug. Selbst das ist kein Garant mehr dafür, dass sich die Gesellschaft dauerhaft für essstörungsbedingte Aufklärung im Vorfeld bemüht.

–> Kein Interesse! <–

Abschließend

Meine Gedanken entspringen aus meiner persönlichen Sicht auf die Dinge.

Dann –> Wie schon so oft erwähnt: Es gibt nicht den einen Weg aus der Essstörung heraus. Auch gibt es nicht die Sicherheit, dass eine Therapieform oder eine anderweitige Hilfeform sofort anschlägt.

Des Weiteren gibt eine Therapie etc. keine Auskunft, ob der essgestörte Kreislauf dauerhaft unterbrochen wurde. Aber eine Therapie jedwelcher Art und/oder therapeutenabweichende Hilfemöglichkeiten können für die körperliche und psychische Stabilisierung jedoch ein guter Anfang sein.

Scheue dich (als Betroffener und Angehöriger) bitte nicht, mit einem Arzt, einem Suchtberater oder pädagogischem Personal über deine Problematiken zu reden.

Meine Auflistungen sind nicht vollständig und ohne Gewähr. Für die Inhalte der verlinkten Websiten sind die jeweiligen Seitenbetreiber zuständig. Neben den vorgestellten Anlaufstellen (bezieht sich auf die unten verlinkten Beiträge), kannst du auch jederzeit bei deiner Krankenkasse nachfragen, welche regionalen Möglichkeiten dir zur Verfügung stehen.

!!! Im Notfall – IMMER !!!

… (Suizidgefahr, körperlicher Kollaps etc.) suche bitte das nächste Krankenhaus auf. Zwangseinweisungen sind bei Minderjährigen durch Eltern – in Absprache mit einem Psychiater – möglich.

Bei Erwachsenen ist es schwieriger. Der Sozialpsychiatrische Dienst des jeweiligen Krankenhause kann einen zwangsweise stationären Aufenthalt in die Wege leiten.

PS: Das PräventionsbuchEssstörungen – Was ist dasist im Handel erhältlich. Smiley

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PPS: Happy Kalorie ist auch auf Facebook, Instagram und YouTube aktiv.

9 Gedanken zu “Essstörung? Selbst schuld!

  1. carirate schreibt:

    Liebe Michaela,
    Ich finde den Beitrag auf Facebook sehr interessant. Danke für die Verlinkung. Bis heute wusste ich nicht, dass das auch eine Form von Essstörung sein kann. Ich hab also, was dazugelernt, Danke dafür ;-)!

    Es bewegt mich sehr, zu lesen, wie wütend dich die Bagatellisierungen von Essstörungen machen. Und mit deinen Beiträgen sensibilisiert du auch jm wie mich, die zumindest aus eigener Erfahrung, im Sinne von selbst betroffen sein, nichts mit Essstörung zu tun hat.

    Ich möchte dich gerne ermutigen und bestärken weiter so engagiert an dem Präventionsthema dran zu bleiben. Auch wenn du nicht gleich im Fernsehen „Germanys Next Topmodel“ oder „biggest looser“ durch eine Präventionssendung zum Thema Essstörungen (und/ oder psychischen Erkrankungen) ablösen wirst, erreichst du doch z.b. mit jedem Besuch in einer Schulklasse viele wichtige Menschen!

    Und auch auf deinem Blog oder mit Präventionsprojekten, wie eurem Kalender, wirst du mit Sicherheit immer wieder Menschen erreichen.

    Es wird sicherlich noch eine Weile dauern und viele Wiederholungen und Mitstreiter brauchen bis die Sensibilität insgesamt in der Bevölkerung noch viel mehr zunimmt, aber mit jedem einzelnen Menschen, den du erreicht uns sensibilisiert hast, hast du unter Umständen mit dafür gesorgt, dass ein weiterer Mensch erstens sensibler mit dem Thema und potentiell Betroffenen umgeht und zweitens im Gespräch mit anderen Leuten auch andere Argumente bringt…

    Eine angenehme Restwoche dir noch!

    Viele liebe Grüße, Caritas

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    • Danke für deine aufmunternden Worte. 🌻 Prävention ist ein hartes Pflaster. Aber nix tun bzw. es nicht zu thematisieren, ist für mich auch keine Option. 💪

      Alles Liebe und schon mal ein schönes Wochenende
      VG Michaela

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  2. Du hast auch meine Gedanken dazu sehr schön in Worte gefasst, liebe Michaela! Vor allem, dass für manch andere Süchte so viel mehr Verständnis aufgebracht wird, bleibt bei mir hängen. Denn es scheinen nicht nur Erfahrungswerte zu sein, auf die Menschen hier beim Verständnis haben zurückgreifen (nicht jeder weiß wie es ist zu rauchen). Trotzdem sind wir so sozialisiert der Abhängigkeit durch Rauchen mit mehr Verständnis zu begegnen, als wenn jemand mit dem für alle alltäglichem Essen ein Problem hat.

    Liebe Grüße, Julia

    PS.: Mein Beitrag dazu kommt morgen! 🙂

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  3. Ich habe oft sowas, dass wenn ich manche Titel lese, schon gar keine Lust mehr auf den Artikel habe. Da muss ich mir oft in Erinnerung rufen, dass Titel oft so gewählt werden, um eben Leser anzusprechen, oder provokativ zu sein und dadurch Leser zu bekommen.
    Vielleicht geht es dir da ähnlich?`

    Ich finde dieses Thema sehr interessant. Ich glaube, dass diese Form der Essstörung auch noch Neuer ist? Bzw. jetzt mehr erforscht wird -über Neuer lässt sich natürlich streiten. Das gab es wohl schon immer, nur wurde es oft nicht als krankhaft angesehen -weil „eigentlich“ gesund.

    Aber es ist so wichtig, dass Kranksein NIEMALS die eigene Schuld ist. Sogar wenn man sich „absichtlich“ krank macht, ist es dennoch eine Krankheit und keine, die mal selber wählt.
    Ich könnte mich jedes Mal wieder aufregen wenn ich Sätze lese wie „er/sie ist doch selber Schuld“.

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    • Danke für deine ausführlichen Worte zu meinem Beitrag. 😊

      Mit dem Titel geht es mir auch so. Oft lese ich den Artikel gar nicht, wenn die Überschrift für mich zu extravagant ist – ohne mir eine Meinung darüber zu bilden.
      Bei sehr vielen ist das umgekehrt. Der eigentliche Inhalt spielt im Grunde gar keine Rolle. Mal völlig egal, ob das Thema auf Verständnis trifft oder nicht. Ist halt auch immer die Frage, was und den wen ein Beitrag erreichen möchte.

      Diese Form (Orthorexia nervosa) der Essstörung ist relativ neu, im Vergleich zu den anderen. Stimmt…

      Toll finde ich dein Statement, dass keiner die Schuld an (s)einer Krankheit trägt. 👍

      Hab ein schönes Wochenende
      Viele Grüße
      Michaela

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  4. Sehr fundiert und objektiv dargestellt, die Problematik mit dem Essen! Mir gefällt, dass du auch scheinbar gute Ansätze in Richtung Gesunde Ernährung kritisch betrachtest. Mir gefällt, dass ich spüre, dass du ungekünstelt sprichst, direkt aus deinem Erleben und Erleiden und Erlernen.

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